Die ältere Forschung gab den Römern die Schuld am Niedergang der Tempel in Ägypten. Heute hingegen wird die Auffassung vertreten, Rom habe in Ägypten sogar für eine wirtschaftliche Stimulation gesorgt. Vor diesem Hintergrund eignet sich der Tempel von Dimê besonders gut, fallstudienartig die ökonomische Situation eines ägyptischen Tempels unter römischer Provinizialverwaltung zu untersuchen und die aktuelle Sicht der Dinge zu überprüfen. Zum einen ist sowohl die griechisch- als auch die ägyptischsprachige Dokumentation im allgemeinen sehr reichhaltig, zum anderen sind speziell die Quellen, die das Wirtschaftsleben des Tempels erhellen, darunter und an erster Stelle die listenförmigen Abrechnungen in großem Umfang erhalten. Diese listenförmigen Abrechnungen wurden in der Buchhaltung des Tempels in demotischer Schrift niedergeschrieben. Allein die besser erhaltenen unpublizierten Exemplare von über 1 m Länge in Berlin, London, Paris und Wien summieren sich auf mehr als 800 Stücke.


Ihre Analyse wird uns zwingen, unser Bild
  • vom internen Wirtschaftsbetrieb eines regionalen ägyptischen Tempels,
  • von der Einbindung ‚des Tempels‘ als Verwaltungs- und Wirtschaftszentrum in eine Verwaltungs- und Fiskalstrategie der römischen Herrschaft am Nil,
  • von den Priestern als Gemeinschaft und seinem sozialen Status,
  • von der religiösen Praxis in Dimê und den benachbarten Heiligtümern
zu revidieren.

Die beträchtliche Zahl der Quellen in ägyptischer (demotischer) Sprache in einer Zeit, in der das Griechische das Demotische endgültig als Verwaltungssprache abgelöst hat, ist ebenfalls eine Besonderheit, die die Frage der Zweisprachigkeit im römischen Ägypten auf den Prüfstand stellt.

Das Ziel des Vorhabens ist, unser Wissen um das Wirtschaftsleben ägyptischer Tempel in der römischen Kaiserzeit auf Basis eines Teils des noch nicht edierten Corpus der Abrechnungen des Tempels von Dimê zu erweitern. Die Texte werden auf einer Online-Editionsplattform publiziert. Das ordnungspolitische Handeln der Römer in Ägypten gegenüber diesen einheimischen Institutionen, die bis in die ptolemäische Zeit hinein höchst einflußreich waren, werden sich dadurch besser erfassen lassen. Die Untersuchung der Abrechnungsrollen des Tempels von Dimê und damit des Finanzwesens, der Verwaltung und der Wirtschaftskompetenzen des Tempels im Verhältnis zu den Kompetenzen und Privilegien, die ihnen die römische Zentralverwaltung zugestand, wird neue Erkenntnisse über den Einfluß der Integration Ägyptens in das Imperium Romanum auf eine traditionelle ägyptische Institution liefern. Diese Studie, die sich auf ein überreiches und weitgehend nicht publiziertes Corpus gründet, ist einem neuen Forschungsansatz zur antiken Wirtschaft und antiken Fiskalwesen verpflichtet.